Zwei Weggabelungen scheinen sich im Ukraine-Krieg rapide zu nähern und belasten mich an diesem Montagmorgen drückend – insbesondere bei den Gedanken an die täglich zunehmend leidenden Menschen. Dazu im beginnenden Winter.
Der eine Weg deutet auf einen entschlossenen Kriegseintritt der ukrainischen Bündnispartner hin. Ziel ist unter anderem die militärische Rückeroberung von Territorien, um für mögliche Verhandlungen mit Putin/Russland eine stärkere Verhandlungsposition zu schaffen und ggf. Territorien tauschen zu können. Am Wochenende genehmigte Präsident Biden den Einsatz von Mittelstreckenraketen, die Angriffe zur Verteidigung auf russische und nordkoreanische Truppen auf russischem Gebiet ermöglichen sollen. Die anderen NATO-Partner stehen nun unter Zugzwang.
Auf dem Bundesparteitag der Grünen am Wochenende gab es ebenfalls viele Stimmen, die für eine weitere, umfassende militärische Unterstützung der Ukraine plädierten, damit diese so lang wie nötig ihre Territorien und Menschen verteidigen kann. Gleichzeitig wird auch eine massive Aufrüstung der EU-Länder gefordert – sowohl zur Abschreckung der „Schurken Länder“ als auch zur entschlossenen militärischen Verteidigung von „Freiheit und Demokratie“.
Was wie die Beschreibung einer Partie des Brettspiels Risiko klingt, ist täglich brutale, tödliche und zerstörerische Realität für Tausende von Menschen sowie andere Bewohner zerstörter Lebensräume aus Fauna, Flora und Funga.
In einem vorherigen Artikel stellte ich bereits die Frage: „Territorien oder Menschen?“ Wo liegt die Priorität einer Friedensdiplomatie?
Das Recht auf Verteidigung fühlt sich natürlich an. Doch das sagt nichts darüber aus, wie eine Verteidigung mit dem Ziel der friedlichen Beilegung des Konflikts aussehen könnte. Ein Blick in die Kampfkünste zeigt, übertragen betrachtet, verschiedenste Verteidigungsschulen: Verteidigung durch einen präventiven Blitzangriff mit schnellen, präzisen und gefährlichen Schlägen gegen vitale Zonen. Verteidigung durch massiven Krafteinsatz und Gegenangriff, bei dem die eigene Masse auf den Aggressor geworfen wird. Schlag für Schlag abwehren, bis sich die Möglichkeit für einen plötzlichen Gegenschlag bietet – wie beim Boxen. Und schließlich sanfte, effiziente Ansätze wie Aikido und Tai Chi Chuan, die die Bewegung des Angreifers aufnehmen und umleiten, ohne den Gegner ernsthaft zu verletzen.
Die Frage nach der Art der Verteidigung ist eng verbunden mit der Frage, was „Verteidigung durch Stärke“ bedeuten könnte. Wie könnten Formen von Stärke aussehen? Welche Stärken wären denkbar?
Seit einigen Tagen arbeite ich an einem Friedensentwurf, der exemplarisch aufzeigt, welcher Weg ebenfalls in Betracht gezogen werden könnte. Vielleicht wird dieser nur eine naive Spinnerei eines Laienbürgers bleiben, vielleicht aber zeigt der Entwurf auch ganz klein: mögliche, pragmatische Ansätze für eine alternative Friedenslösung in der Ukraine mit den beteiligten Länder.
Während dieser Arbeit am Friedensentwurf setze ich mich auf jeden Fall auch selbstkritisch mit meinen eigenen Überzeugungen auseinander: mit meinem Anspruch an den Pazifismus und mit meiner politischen Position als Wähler bei der Bundestagswahl, für den die Säule „Pragmatischer Pazifismus“ eine entscheidende für seine Wahlstimme ist.
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